Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine leicht überarbeitete Fassung meines Disputationsvortrages.1
Hogenbergs Bildberichte, schrieb Daniel Horst 2003 in seiner kunsthistorischen Studie über Propagandadrucke, gäben die bedeutendsten Vorfälle des niederländischen Aufstandes in einer “ziemlich realistischen und neutralen Manier” wieder.2 Lediglich die begleitenden Verse nähmen bisweilen offen Partei für die Aufständischen. Die eigentlichen Bilder jedoch scheinen die Begebenheiten unvoreingenommen und objektiv zu zeigen. Er schloss deshalb Hogenbergs Bildberichte von vornherein als Untersuchungsgegenstand für seine Arbeit zur Propaganda während des Aufstandes aus.3 Mit seiner Einschätzung brachte Horst eine weitverbreitete Annahme auf den Punkt: Hogenberg habe zwar wegen seines protestantischen Glaubens die Niederlande verlassen müssen. Als er aber in Köln damit begonnen habe, aktuelle Vorfälle und Begebenheiten in Form von Bildberichten darzustellen, sei es ihm nicht darum gegangen, für eine bestimmte Weltanschauung zu werben, sondern sachlich über das Zeitgeschehen zu informieren. Sämtliche Werkausgaben, die einschlägigen Lexika und mit ihnen das gros der Forschung gehen davon aus, dass es sich bei Hogenbergs Bildberichten um wirklichkeitsgetreue Schilderungen handelt.4
Angesichts der zentralen Bedeutung von Hogenbergs Bildberichten für die Geschichte, insbesondere die des niederländischen Aufstandes, verwundert diese Überzeugung nicht. Wie Judith Pollmann und ihre Mitarbeiter gezeigt haben, prägten die Bildberichte nicht nur die Vorstellungen von Hogenbergs Zeitgenossen, sondern auch die gesamte Erinnerungskultur zu den Französischen Religionskriegen und dem niederländischen Aufstand.5 Unser “Bild” von diesen beiden europäischen Großkonflikten steht immer noch unter dem Einfluss von Hogenbergs Darstellungen. Als Indiz dafür lassen sich nicht nur die zahlreichen Bilder und Geschichtswerke anführen, die sich auf Hogenbergs Schilderungen beziehen.6 Auch der Umstand, dass anhand der Blätter zuletzt in den siebziger und neunziger Jahren die Geschichte des niederländischen Aufstandes nacherzählt wurde, zeigt, wie einflussreich diese Darstellungen bis heute sind.7 Hogenbergs Bildberichte sind ein fester Bestandteil unseres historischen Bilderkanons.
Erst in den letzten zehn Jahren kamen grundlegende Zweifel an der Annahme auf, die Blätter gäben das Geschehen unvoreingenommen und realistisch wieder. Zwei Entwicklung trugen dazu bei: Zum einen wandte die Geschichtswissenschaft sich bislang marginalisierten Sichtweisen zu.8 Dadurch gelang es ihr, die Große Erzählung vom niederländischen Aufstand als Freiheits- und Unabhängigkeitskrieg zu dekonstruieren.9 Zum anderen nahm sie mittlerweile auch Bilder als Quellen in den Blick.10 Sie befreite sich von einem naiven Verständnis, das in visuellen Darstellungen lediglich Abbildungen historischer Wirklichkeit sah. In meiner Arbeit habe ich diese beiden Ansätze aufgegriffen. Ich frage nämlich danach, wie Hogenbergs Bildberichte die Geschichte der Französischen Religionskriege und des niederländischen Aufstandes erzählen. Es geht mir also darum, die Funktionsweise der Blätter als erzählendes Medium offenzulegen und auf diese Weise zu klären, wie sie das damalige Zeitgeschehen in Zeitgeschichte verwandelt haben.
Dafür bin ich in drei Schritten vorgegangen: In einem ersten Schritt habe ich die Hogenberg-Drucke einer ausführlichen inneren wie äußeren Quellenkritik unterzogen (Teil A). Anschließend habe ich sie sowohl hinsichtlich ihrer Medialität als auch ihrer Erzählweise untersucht (Teil B). In einem dritten Schritt habe ich schließlich Rezeptionszeugnisse in den Blick genommen (Teil C). Dieser letzte Punkt bot mir zugleich die Möglichkeit, meine Untersuchungsergebnisse aus den vorherigen Teilen zu überprüfen.
Hogenbergs Kölner Werkstatt veröffentlichte 1570 zunächst drei Serien von Bildberichten.11 Bei zwei von ihnen handelte es sich um Kopien anderer Bilder.12 Mit der dritten Serie stellten Hogenberg und seine Mitarbeiter den Beginn des niederländischen Aufstandes dar, ohne auf direkte Vorlagen zurückzugreifen. Anschließend gaben sie Blätter zum aktuellen Tagesgeschehen heraus, die sie erst mit einigem zeitlichen Abstand zu Serien zusammenfassten. Alles in allem handelt es sich um ein Korpus von etwa 420 Drucken. Um 1610 gaben Hogenbergs Erben eine Gesamtausgabe der bis dahin 366 veröffentlichten Bildberichte heraus. Anschließend führten sie zwar das Projekt bis 1631 fort, veröffentlichten aber in den 20 Jahren nur noch knapp 60 Blätter. Der Schwerpunkt der Berichterstattung lag unverkennbar auf dem niederländischen Zeitgeschehen bis zum Waffenstillstand von 1609.
Hogenbergs Blätter geben sich als Tatsachenberichte zu erkennen, die den Anspruch erheben, das behandelte Geschehen wahrheitsgemäß widerzuspiegeln. Sie liegen quer zu den übrigen zeitgenössischen Druckerzeugnissen und entziehen sich einer einfachen Klassifizierung.13 Indem sie das Hauptaugenmerk auf eine visuelle Darstellung legten, ergänzten sie die übrigen Schilderungen auf dem Buch- und Nachrichtenmarkt.
Nur auf den ersten Blick überrascht es, dass der Protestant Hogenberg ausgerechnet vom “Heiligen Köln” aus über die Konflikte im Zeitalter der Glaubenskriege berichtete.14 Außenpolitisch vertrat nämlich die Freie Reichsstadt eine Neutralitätspolitik und hielt sich aus den Konflikten in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft heraus. Für einen Radierer und Verleger wie Hogenberg bot sie zudem alle Vorzüge eines prosperierenden Buchmarktes, auf dem aber bislang eines fehlte: Druckgraphiken. Da die Rheinmetropole hervorragend an das Post- und Botennetz angeschlossen war, waren alle Voraussetzungen vorhanden, die Hogenberg für die Herstellung seiner Bildberichte benötigte.15 Innerhalb weniger Jahre gelang es dem konfessionellen Dissidenten, trotz einiger Schwierigkeiten mit der Kölner Obrigkeit eine florierende Werkstatt aufzubauen und in die städtische Führungsschicht einzuheiraten. Neben den Bildberichten schuf er zahlreiche Karten, unter anderem für den epochemachende Atlas von Abraham Ortelius.16 Außerdem gab Hogenberg gemeinsam mit dem Kölner Geistlichen Georg Braun ein Städtebuch heraus, das als Ergänzung zum Ortelius-Atlas gedacht war und alle bedeutenden Städte des Erdkreises zeigte.17 Hogenberg und seine Mitarbeiten lassen sich insofern als Spezialisten für die empirische Beschreibung von Wirklichkeit charakterisieren.
Nichtsdestoweniger müssen seine Bildberichte unter einen quellenkritischen Vorbehalt gestellt werden: Da es sich einerseits um kommerzielle Produkte handelte, musste Hogenberg die Erwartungen seines Publikums bedienen, wollte er seine Drucke erfolgreich verkaufen. Propaganda sind sie deswegen, wie Daniel Horst richtig bemerkt, nicht.18 Sie dürften aber die behandelten Vorfälle auf solch eine Weise erzählt haben, die nicht den Widerspruch ihrer Kundschaft hervorrief. Da andererseits Hogenberg nur vermittelt von einem Großteil der Vorfälle erfahren konnte und seine Informationsquellen zudem im Dunkeln liegen, eignen sich seine Bildberichte nur bedingt als Quellen, um etwas über das tatsächliche Geschehen zu erfahren. Anhand der Drucke die Begebenheiten nachzuerzählen, sie also als Traditionsquellen zu behandeln, ist daher unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten genaugenommen unzulässig. Befragt man aber die Bildberichte darauf hin, wie sie den Eindruck hervorrufen, authentische, wahrheitsgemäße Darstellungen zu sein, dann verwandelt man sie in Überreste und Primärquellen.
Mehr noch: Hogenbergs Bildberichte behandeln die beiden europäischen Großkonflikte, die als Französische Religionskriege und Aufstand der Niederlande in die Geschichtsschreibung Eingang gefunden haben. Dabei konzentrieren sich die Blätter auf die konfessionellen, politischen und militärischen Auseinandersetzungen. Soziale oder wirtschaftliche Aspekte blenden sie weitgehend aus. Ihr Thema ist vielmehr, wie das Absolutsetzen konfessioneller Überzeugungen zu einer Entfesselung von Gewalt führte und dadurch die Gemeinwesen in eine Krise stürzten. Wie sich nämlich rasch zeigen sollte, gelang es keiner der Konfliktparteien, sich gewaltsam durchzusetzen. Für die Kombattanten war es deshalb entscheidend, möglichst viele Anhänger zu mobilisieren und neue zu rekrutieren. Es ging mithin darum, die Moderaten und Unentschlossen für ihre Sache zu gewinnen.19 Das war allerdings nur mit Hilfe von Medien möglich. Druckerzeugnisse waren deshalb ebenso wie die zahlreichen anderen Medien sowohl Gegenstand als auch Mittel der Auseinandersetzungen. Hogenbergs Bildberichte wiederum stellen diese Meinungskämpfe dar. Sie lassen sich insofern als Medium zweiter Ordnung beschreiben. Sich selbst aber den Meinungskämpfen entziehen konnten sie nicht. Auch die Nachrichtendrucke und Geschichtswerke nahmen teil an den Auseinandersetzungen um die unentschlossene, moderate Mitte, gerade weil sie darüber berichteten. Das gilt auch für Hogenbergs Blätter: sie mussten wie alle anderen Schilderungen Stellung beziehen. Die Bildberichte geben mithin nicht nur darüber Auskunft, wie Hogenberg die damaligen Kämpfe um die Deutungshoheit dargestellt hat, sondern auch welchen eigenen Standpunkt sie dabei vertraten.
Mit der Analyse der Bildberichte habe ich methodisches Neuland betreten. Einerseits musste es darum gehen, die mediale Funktionslogik dieser außergewöhnlichen Druckgraphiken freizulegen. In Anlehnung an Panofskys interpretatorischen Dreischritt habe ich dafür die Blätter hinsichtlich ihres Aufbaus, ihrer Ikonographie und ihres Bildaktes untersucht.20 Andererseits bestand eine Herausforderung darin, die Bildberichte als eine Form der Historiographie zu analysieren. Hierfür griff ich auf das methodische Angebot der Erzähltheorie zurück.21 Ein Abgleich mit dem tatsächlichen Geschehen war dabei nachrangig. Es ging mir vor allem darum, die erzählerischen Techniken zu bestimmen, die Hogenbergs Bildberichte in Anschlag brachten.
Als Gegenstand der Untersuchung dienten mir alle zwischen 1570 und 1610 veröffentlichten Bildberichte aus Hogenbergs Offizin, die sich mit den Französischen Religionskriegen oder dem Aufstand der Niederlande beschäftigten. Das heißt, es ging um rund 350 Drucke, von denen ich mehr als 50 ausführlich in meiner Arbeit vorgestellt habe. Ein Großteil der Bildberichte ist zunächst als Einzelblatt erschienen und dann in einer von 7 Serien erneut herausgegeben worden. Bei meiner Analyse war ich deshalb darum bemüht, den einzelnen Blätter als eigenständige Drucke gerecht zu werden, sie aber auch in einen Zusammenhang mit den übrigen Blättern zu stellen.
Zunächst habe ich den Einstieg in die Erzählung untersucht. Dafür nahm ich die jeweils ersten drei Blätter der Frankreich-Serie und der ersten Niederlande-Serie in den Blick. Drei Punkte sind mir dabei wichtig: Erstens emanzipierten sich Hogenbergs Bildberichte inhaltlich und formal von ihrer Vorlage für die Frankreich-Darstellungen, den Genfer Quarante Tableaux, so dass sie zunehmend an ihre Stelle traten. Während in der Frankreich-Serie noch ein deutlich calvinistisch-hugenottischer Blickwinkel vorherrscht, berücksichtigen Hogenberg und seine Mitarbeiter in der Niederlande-Serie den Standpunkt der katholischen Obrigkeit als auch der protestantischen Untertanen. Zweitens behaupten die Bildberichte eine Analogie zwischen dem Ausbruch der Französischen Religionskriege und dem Aufstand. Ausgelöst habe die Konflikte in beiden Fällen der katholische Landesherr, indem er eine Verfolgung der Protestanten forcierte. Die Ursache der beiden Krisen sei also die nicht gewährte Glaubensfreiheit. Drittens zeigen die Blätter stets die Peripetien der Vorgänge. Das heißt, sie wählen einen möglichst sprechenden Vorfall aus, verdichten das Geschehen und spitzen es zu, anders gesagt: sie deuten. Um die Ursachen der Konflikte sichtbar zu machen, greifen sie auf calvinistische Flugschriften, antike Mythologie, biblische Anekdoten, zeitgenössische Embleme und politische Symbole zurück.
Die ausgewogene Positionierung der Bildberichte erfuhr, wie ein Blick auf die auftretenden Akteure verdeutlicht, im Fortgang der Erzählung, vor allem während der 1570er Jahre, eine entscheidende Modifikation. Hogenbergs Blätter lenken nämlich durchaus die Sympathien ihrer Betrachter: Sie erreichen das durch Vereinfachungen, die keine Ambivalenzen oder zweifelhafte Frontstellungen zulassen. Die Blätter trennen nicht nur klar zwischen den Akteuren, sondern auch zwischen Gut und Böse. Für den Fall der Niederlande heißt das: Auf der einen Seite befinden sich diejenigen, die für die spanische Zentralregierung kämpfen und von denen die Gewalt ausgeht. Sie werden allesamt als Spanier bezeichnet.
Ihnen gegenüber stehen die niederländischen Rebellen, die sich unter der Führung von Wilhelm von Oranien für den Erhalt althergebrachter Privilegien und Freiheiten einsetzen. Der Prinz von Oranien erscheint dabei als Integrationsfigur, als pater patriae. Die niederländischen Städte spielen zunächst keine Rolle als Akteure. Dies ändert sich aber gegen Ende der 1570er Jahre. Seitdem treten sie als Handelnde auf. Bei alledem erscheint der Aufstand nicht als Bürgerkrieg, sondern als ein legitimes, gottgefälliges Unterfangen aller Niederländer, die sich gegen eine fremde Nation tyrannischer Gewalttäter verteidigen müssten. In Frankreich liegen die Dinge, Hogenbergs Blättern zufolge, ähnlich: Hier geht die Gewalt von den katholischen Guise aus, die als rauschhafte Mörder gezeigt werden, während die Hugenotten unter der Führung von Heinrich von Navarra, lediglich versuchen würden, den Frieden zu wahren.
Dieser Unterscheidung von guter potestas und schlechter violentia liegt ein theatrales Wirklichkeitsverständnis zugrunde. Wie ein Blick auf Hogenbergs Darstellungen zeitgenössischer Verlautbarungen und Inszenierungen offenbart, funktionieren die Blätter auf dieselbe Weise: Hogenbergs Bildberichte stellen sinnlich wahrnehmbare Modelle her und bringen auf diese Weise die der Wirklichkeit vermeintlich inhärenten Regeln, Zusammenhänge und Merkmale zum Ausdruck. Sie wollen also das Wesentliche zum Vorschein bringen, gehen mithin über Empirie und Faktographie hinaus. Denn die Wirklichkeit ist den Blättern zufolge ein Schauspiel, das unsichtbaren Regeln folgt.
Um zu erklären, warum Hogenbergs Bildberichte so überzeugend bei alledem wirken, habe ich daraufhin analysiert, wie sie Räumlichkeit, Zeit und Handlung darstellen. Ihre kleinteiligen mimetischen Ansichten erzeugen dabei ebenso wie die planimetrischen Elemente aus der Kartographie sogenannte Wirklichkeitseffekte.22 Dafür bedienen sie sich ausgiebig der Vorlagen aus dem Ortelius-Atlas und dem Städtebuch. Zudem schildern sie in einem Bild meist mehrere Etappen eines Vorgangs und fordern dadurch auf, den Betrachter das Geschehen gedanklich nachzuvollziehen. Dies führt zu einem Eindruck der Verlebendigung des Geschilderten.23 Die Bildberichte nutzen mithin eine Rhetorik der Evidenz. Indem aber die Blätter die Vorfälle verdichten, rhetorisch gestalten und in eine Erzählung überführen, bringen sie die Ereignisse erst performativ hervor. Auf diese Weise verführen sie gleichsam ihre Betrachter, das dargestellte, im Bildbericht geschaffene Ereignis mit dem tatsächlichen Geschehen zu verwechseln. Das heißt, der vorliegende Bildbericht tritt metonymisch an die Stelle des vergangenen Vorganges.24
In meinem Abschnitt zur Quellenrezeption konnte ich die vorher herausgearbeiteten Ergebnisse bestätigen. Denn der Kölner Rat schritt tatsächlich nur gegen Drucke von Hogenberg ein, wenn sie der städtischen Neutralitätspolitik zuwiderliefen. Im Hinblick auf die individuelle Rezeption der Bildberichte konnte ich zeigen, dass Hogenbergs Zeitgenossen sie als Informationsmedium nutzten und ihnen die gleiche epistemologische Valenz wie Augenzeugenberichten zusprachen. Es wurde ebenfalls deutlich, dass sie durchaus auch der politischen Meinungsbildung dienten. Die Geschichtsschreibung, in die sie noch zu Franz Hogenbergs Lebzeiten Eingang fanden, übernahm zwar nicht ihre religiös wie politisch auf einen Ausgleich zielende Haltung.25 Dafür bestätigte sie ein ums andere Mal den Ereignischarakter der dargestellten Vorgänge. Sie sorgte mithin nicht nur für die Kanonosierung der Hogenberg-Blätter, sondern auch der durch sie geschaffenen Ereignisse.
Mit meiner Untersuchung der Hogenbergschen Bildberichte ging es mir darum, einen Beitrag zu drei Forschungsfeldern zu leisten: Zum einen galt es, ein außergewöhnliches Medium zu erschließen und seine Funktionsweise offenzulegen. Ich wollte mithin zeigen, wie sich Bilder als Erzählungen analysieren lassen.
Zum anderen ging es mir um einen Beitrag zu einer Kulturgeschichte des Politischen: Hogenbergs Bildberichte boten ihren Betrachtern nicht nur eine Möglichkeit, sich über die Französischen Religionskriege und den niederländischen Aufstand zu verständigen. Sie schufen zugleich einen Standpunkt, von dem aus die Ereignisse betrachtet werden konnten. Sie warben für eine Politik des Ausgleichs und Kompromisses, vertraten also Positionen einer via media und der politiques. Das Sichtbare galt ihnen dabei als Fluchtpunkt überkonfessioneller Verständigung jenseits von Gewalt und Fanatismus.
Schließlich ging es mir darum, einen Beitrag zur Geschichte der Geschichtsschreibung zu leisten: Eine Untersuchung der Hogenberg-Drucke erlaubt nämlich Aufschluss darüber, warum der niederländische Aufstand stets als eine Parade von klar identifizierbaren Ereignisse erscheint.26 Die Bildberichte hatten entscheidenden Anteil daran, das Zeitgeschehen in Zeitgeschichte zu verwandeln, die komplexen Vorgänge also in eine historische Erzählung zu überführen.
Die weitverbreitete Vorstellung, bei den Bildberichten handele es sich um wahrheitsgemäße und objektive Darstellungen der gezeigten Vorgänge, legt beredtes Zeugnis von der nachhaltigen Überzeugungskraft dieser Verwandlung ab.
Soweit nicht weiter angegeben, befinden sich alle notwendigen Belege in meiner Doktorarbeit, vgl. dafür Voges, Ramon: „Das Auge der Geschichte. Der Aufstand der Niederlande und die Französischen Religionskriege in den Bildberichten Franz Hogenbergs“, PhD thesis, Universität Paderborn 2016. ↩
Horst, Daniel R.: De Opstand in zwart-wit. Propagandaprenten uit de Nederlandse Opstand (1566–1584), Zutphen: Walburg Pers 2003, S. 20. Meine Übersetzung. ↩
Vgl. ebd. ↩
Vgl. Hellwig, Fritz: „Einführung“, in: Hellwig, Fritz (Hrsg.): Franz Hogenberg – Abraham Hogenberg. Geschichtsblätter, Nördlingen: Verlag Dr. Alfons Uhl 1983, S. 7–31. Das Gleiche gilt für Mielke, Ursula und Ger Luijten: „Frans Hogenberg’s Broadsheets of Political Events“, in: Mielke, Ursula und Ger Luijten (Hrsg.): Frans Hogenberg. Broadsheets. Vol. 2: Text, Bd. 21, Ouderkerk aan den Ijssel: Sound & Vision 2009 (The New Hollstein Dutch & Flemish Etchings, Engravings and Woodcuts 1450-1700), S. vii-ix, hier S. vii. Für ein einschlägiges Nachschlagewerk vgl. bspw. Mielke, Ursula: „Art. ‚Hogenberg‘“, in: Beyer, Andreas, Bénédict Savoy und Wolf Tegethoff (Hrsg.): Allgemeines Künstlerlexikon. Die bildenden Künstler aller Zeiten und Völker, Bd. 74. Hoelscher – Hornstein, Berlin: De Gruyter 2012, S. 178–183. ↩
Vgl. z.B. Kuijpers, Erika u. a. (Hrsg.): Memory before Modernity. Practices of Memory in Early Modern Europe, Leiden, Boston: Brill 2013 (Studies in Medieval and Reformation Traditions). ↩
Vgl. dazu u.a. Eekhout, Marianne: „Furies in beeld. Herinneringen aan gewelddadige innames van steden tijdens de Nederlandse Opstand op zeventiende-eeuwse schilderijen“, in: De Zeventiende Eeuw 30/2 (2014), S. 243–266. ↩
Vgl. Hogenberg, Frans: De 80-jarige oorlog in prenten, hg. von. Leon Voet, Den Haag: Van Goor Zonen 1977; Kinds, Karel: Kroniek van de opstand in de Lage Landen 1555–1609. Actuele oorlogsverslaggeving uit de zestiende eeuw met 228 gravures van Frans Hogenberg. 2 Bde., Wenum Wiesel: Uitgeverij ALNU 1999. ↩
Stellvertretend seien hier genannt Janssen, Geert H.: The Dutch Revolt and Catholic Exile in Reformation Europe, Cambridge: Cambridge University Press 2014; Pollmann, Judith: Catholic Identity and the Revolt of the Netherlands, 1520–1635, Oxford, New York: Oxford University Press 2011; Rodríguez Pérez, Yolanda: The Dutch Revolt through Spanish Eyes. Self and Other in historical and literary texts of Golden Age Spain (c. 1548-1673), Bern et al.: Peter Lang 2008 (Hispanic Studies: Culture and Ideas); Kaplan, Benjamin u. a. (Hrsg.): Catholic communities in Protestant states: Britain and the Netherlands c. 1570 – 1720, Manchester: Manchester UP 2009. ↩
Vgl. dafür van Nierop, Henk F. K.: „Alva’s Throne – making sense of the revolt of the Netherlands“, in: Darby, Graham (Hrsg.): The Origins and Development of the Dutch Revolt, London, New York: Routledge, S. 29–47; Groenveld, Simon: „Image and Reality. The Historiography of the Dutch Revolt against Philipp II“, in: Schepper, Hugo de und Petrus J. A. N. Reitbergen (Hrsg.): España y Holanda. Handelingen van de nederlands-spaanse historische colloquia 1984–1988, Madrid, Nimwegen: Comité español de ciencias históricas 1993, S. 37–80. ↩
Eine ausführliche Besprechung des iconic turn befindet sich in meiner Dissertation, vgl. Voges, Ramon: „Das Auge der Geschichte. Der Aufstand der Niederlande und die Französischen Religionskriege in den Bildberichten Franz Hogenbergs“, PhD thesis, Universität Paderborn 2016, S. 21–28. ↩
Vgl. dafür die Einträge von Willer, Georg: Die Messkataloge Georg Willers. Herbstmesse 1564 bis Herbstmesse 1573, Bd. 1, hg. von. Bernhard Fabian, Faksimile-ND Aufl., Hildesheim, New York: Olms 1972, S. 366. ↩
Vgl. Horn, Hendrik J.: Jan Cornelisz Vermeyen: Painter of Charles V and His Conquest of Tunis. Paintings, Etchings, Drawings, Cartoons & Tapestries. 2 Bde., Doornspijk: Davaco Publishers 1989 (Aetas Aurea. Monographs on Dutch & Flemish Painting); Benedict, Philip: Graphic History. The Wars, Massacres and Troubles of Tortorel and Perrissin, Genf: Droz 2007 (Travaux d’humanisme et renaissance). ↩
Ein Überblick bietet bspw. Würgler, Andreas: Medien in der Frühen Neuzeit, München: Oldenbourg 2009 (Enzyklopädie deutscher Geschichte). ↩
Vgl. dazu bspw. Chaix, Gérald: „Von der Christlichkeit zur Katholizität. Köln zwischen Traditionen und Modernität (1500–1648)“, S. 233–244. ↩
Vgl. u.a. Behringer, Wolfgang: „Köln als Kommunikationszentrum um 1600. Die Anfänge des Kölner Post- und Zeitungswesens im Rahmen der frühneuzeitlichen Medienrevolution“, in: Mölich, Georg und Gerd Schwerhoff (Hrsg.): Köln als Kommunikationszentrum. Studien zur frühneuzeitlichen Stadtgeschichte, Köln: DuMont 2000, S. 183–210. ↩
Vgl. Ortelius, Abraham: Theatrum Orbis Terrarum, hg. von. Raleigh Ashlin Skelton, Faksimile-ND der Ausg. Antwerpen 1570 Aufl., Amsterdam: N. Israel/Publisher – Meridian Publishing Co. 1964 (Theatrum Orbis Terrarum. A Series of Atlases in Facsimilie, First Series). ↩
Vgl. Braun, Georg und Franz Hogenberg: Civitates Orbis Terrarum. 1572–1618. In six parts, hg. von. Raleigh Ashlin Skelton und A. O. Vietor, Faks.-ND Aufl., Amsterdam: Theatrum Orbis Terrarum Ltd. 1965 (Mirror of the World. A Series of Early Books on the History of Urbanization. First Series). ↩
Vgl. abermals Horst, Daniel R.: De Opstand in zwart-wit. Propagandaprenten uit de Nederlandse Opstand (1566–1584), Zutphen: Walburg Pers 2003, S. 20. ↩
Vgl. dazu ebenfalls Woltjer, Juliaan: „Political Moderates and Religious Moderates in the Revolt of the Netherlands“, in: Benedict, Philip u. a. (Hrsg.): Reformation, Revolt and Civil War in France and the Netherlands 1555–1585, Amsterdam 1999, S. 185–200. ↩
Vgl. z.B. Panofsky, Erwin: „Zum Problem der Beschreibung und Inhaltsdeutung von Werken der bildenden Kunst (1932)“, in: Michels, Karen und Martin Warnke (Hrsg.): Erwin Panofsky. Deutschsprachige Aufsätze II, Berlin: Akademie-Verlag 1998, S. 1064–1077. ↩
Vgl. u.a. Bal, Mieke: Narratology. Introduction to the Theory of Narrative, 3. rev. u. erw. Aufl. Aufl., Toronto, Buffalo, London: University of Toronto Press 2009. ↩
Vgl. dazu auch Barthes, Roland: „Der Wirklichkeitseffekt“, Das Rauschen der Sprache, Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag (Kritische Essays), S. 164–172. ↩
Vgl. Voges, Ramon: „Augenzeugenschaft und Evidenz. Die Bildberichte Franz und Abraham Hogenbergs als visuelle Historiographie“, in: Krämer, Sybille, Sibylle Schmidt und Ramon Voges (Hrsg.): Politik der Zeugenschaft. Zur Kritik einer Wissenspraxis, Bielefeld: transcript 2011, S. 159–181. ↩
Dass die Geschichte nicht mit der Vergangenheit gleichgesetzt werden darf, darauf machte bereits Droysen aufmerksam, vgl. Droysen, Johann Gustav: Historik. Rekonstruktion der ersten vollständigen Fassung der Vorlesungen (1857), Grundriß der Historik in der ersten handschriftlichen (1857/1858) und in der letzten gedruckten Fassung (1882), hg. von. Peter Leyh, Stuttgart–Bad Cannstatt: frommann-holzboog 1977, S. 7–11. ↩
Vgl. dafür auch Voges, Ramon: „La révolte des Pays-Bas à travers l’estampe : espaces contestés et formation de l’identité“, in: Haffemayer, Stéphane u. a. (Hrsg.): Images & Révoltes dans le livre et l’estampe (xive-milieu du xviiie siècle), Paris: Bibliothèque Mazarine & Éditions des Cendres 2016, S. 149–166. ↩
Vgl. dazu Schama, Simon: The Embarrassment of Riches. An Interpretation of Dutch Culture in the Golden Age, New York: Vintage Books 1987, S. 86. ↩